Individual Stories. Sammeln als Porträt und Methodologie

76f28573ddd4403612952711c43e8063Künstler sind Sammler. Der Kunstkritiker Benjamin Buchloh bezeichnet Marcel Duchamp, den Erfinder des Readymades, als Initiator der Vorstellung vom Künstler als Sammler.1 Die Ausstellung Individual Stories in der Kunsthalle Wien Museumsquartier präsentiert entsprechend zwanzig zeitgenössische Künstler/innen, die Objekte aus ihren privaten Sammlungen zeigen oder einen Einblick in ihr künstlerisches Werk geben, das auf dem Sammeln als künstlerischer Methodik basiert. Die in der Ausstellung gezeigten Sammlungen spiegeln insofern unterschiedliche formale, ästhetische und konzeptuelle Interessen. In ihrer Vielfalt und Gegensätzlichkeit eröffnen sie aber auch spannende Ansätze zum Verständnis künstlerischer Praxis: Einerseits legen Künstler/innen unabhängig von ihrem Kunstschaffen persönliche Sammlungen an, andererseits erstellen sie Sammlungen, die eine eigene Methode oder eigenständige Kunstwerke begründen. Johannes Wohnseifer zum Beispiel sammelt seit rund 15 Jahren Pressefotografien des früh verstorbenen amerikanischen Rennfahrers Peter Revson und verknüpft diese mit grafischen Arbeiten, Ephemera und Büchern des deutschen Malers Peter Brüning. Wohnseifers hauptsächlich über Ebay zusammengestellte Auswahl zeigt, dass schon die Suche per se, das Browsen sowie der Erwerb der Fotografien wesentlicher Teil der Sammlungstätigkeit sind. Die kontinuierlich wachsende Sammlung mit dem Titel More in Common Than a Given Name gibt keine Antwort darauf, weshalb die beiden Männer in einen Dialog gebracht werden sollten, sondern versteht sich als Studie, die auf freien Assoziationen und scheinbar willkürlichen Verbindungen beruht. Saâdane Afif wiederum stellt seit 2008 sein persönliches Fountain Archive zusammen, eine Sammlung aus gedruckten Reproduktionen von Marcel Duchamps berühmtem Readymade Fountain. Für Afif ist die Beschäftigung mit einer der Ikonen der modernen Kunstgeschichte und dem Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduktion sowohl eine persönliche Obsession als auch ein Kunstwerk, ein „oeuvre hobby“.

Camille Henrot beschäftigt sich in ihrem Werk mit der ausufernden Anhäufung von Wissen in Archiven und Bibliotheken, Computerdatenbanken und dem Internet, in denen die Welt konserviert wird und dennoch in der Datenflut zu verschwinden scheint. Ihre Collections Préhistoriques illustriert ihr fast schon ethnologisches Interesse an prähistorischen Zeiten und dem Sammeln und Tauschen von Objekten als fundamentaler menschlicher Aktivität. Auch G. T. Pellizzi ist an Ethnologie interessiert. Er zeigt eine Sammlung von Gegenständen, die den Bogen vom Holozän bis zum Anthropozän symbolisieren der Zeitspanne von der Industrialisierung bis zum Plastikzeitalter. Während die inhaltliche Überschneidung mit Camille Henrots Werk in der Ausstellung Zufall ist, ist der Vergleich ihrer Herangehensweisen beabsichtigt: Beide basieren auf dem Sammeln als Methode, das wissenschaftliche Forschung in die freie Sprache der bildenden Kunst überträgt und ästhetische Kategorien neben wissenschaftliche Empirie stellt. Hubert Scheibl wiederum sammelt alte botanische Studienobjekte aus der Werkstatt von Robert und Reinhold Brendel, die ihm als Quelle der Inspiration dienen. Teilweise finden die fantastischen Formen und der Farbenreichtum der detailgenauen Modelle in abstrahierter Form auch Eingang in eigene neue Arbeiten. Bei Barbara Bloom hingegen ist die gesamte künstlerische Praxis auf die Tätigkeit des Sammelns ausgerichtet. Ihre Herangehensweise an die zeitgenössische Kultur, ans Individuum und das kollektive Gedächtnis manifestiert sich in der Zusammenstellung von Objekten und deren an musealen Konventionen angelehnter Präsentation. Ihre Installationen und Fotografien erkunden einerseits das Verlangen nach Besitztum, kommentieren andererseits aber auch den Akt des Sammelns. In der Kunsthalle Wien zeigt Bloom ausgewählte Objekte aus ihrem umfangreichen persönlichen Archiv aus Ephemera und Alltagsgegenständen. Ein ähnlicher Ansatz findet sich auch bei Hans-Peter Feldmann, der sich nicht als Künstler beschreiben würde, sondern als zwanghaften Sammler existierender Bildern und Alltagsgegenstände. Feldmanns Werke teilen ein Interesse an Typologien und bestimmten Formensprachen, die durch die Zusammenstellung banaler Warenwelten und zutiefst vertrauter Objekte zutage tritt. Walter Benjamin zufolge ist der Besitz die intimste Beziehung, die man zu Objekten haben kann. Das Haben-Wollen ist Resultat kreativer Neugierde oder systematischer Suche. Jedes der ausgestellten Objekte weist entsprechend einen persönlichen Bezug zu seinem/r Sammler/in auf. Die Ausstellung zeigt spezielle Facetten der jeweiligen Künstlerpersönlichkeit zwischen privater Leidenschaft und künstlerischer Methode – eine ungewöhnliche Annäherung an zeitgenössisches künstlerisches Schaffen. Zur Ausstellung erscheint eine Publikation mit Fotografien von Marie Angeletti, die die gezeigten Werke und Sammlungen auf eine sehr persönliche Art dokumentieren wird. Jede/r Künstler/in ist in der Publikation zudem mit einem kurzen Statement vertreten, in dem er/sie beschreibt, welchen Stellenwert das Sammeln für ihn oder sie besitzt. [Kunsthalle Wien- Ausstellungsdauer bis 11. Oktober 2015 Foto:©Kunsthalle Wien]

Künstler/innen: Saâdane Afif, Jacques André, Marie Angeletti, Thomas Bayrle, Barbara Bloom, Herbert Brandl, Andrea Büttner, Hans-Peter Feldmann, Camille Henrot, Michaela Maria Langenstein, Pierre Leguillon, Hanne Lippard, Maurizio Nannucci, G.T. Pellizzi, Max Renkel, Michael Riedel, Hubert Scheibl, Yann Sérandour, John Stezaker, Johannes Wohnseifer 

DAS KUNSTMAGAZIN
KUNSTINVESTOR  Nr. 7
Ausgabe Juli 2015
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KUNSTINVESTOR  JULI 2015

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